Zum besseren Verständnis und Einordnung der jüngeren Geschichte Afghanistans empfehle ich die nachstehenden Arte-Dokumentationen. 04.08.2021 4. Afghanistan - Die Nato-Truppen (Arte Dokumentation)
03.08.2021 3. Afghanistan - Mudjahedin und Taliban (Arte Dokumentation) 02.08.2021 2. Afghanistan - Die Sowjetarmee (Arte Dokumentation) 01.08.2021 1. Afghanistan das Königreich (Arte Dokumentation)
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27.08.2021 Russland - Die Geister, die man rief 26.08.2021 An Bösartigkeit grenzende Inkompetenz 24.08.2021 Afghanistan: Eine Chronik des Versagens 19.08.2021 Afghanistan - der kürzeste Kommentar 18.08.2021 Taliban 18.08.2021 Afghanistans begehrte Bodenschätze 16.08.2021 Neuanfang - Russland, China, Türkei: Wer gewinnt in Afghanistan? 15.08.2021 Afghanistan-Desaster mit Ansage 14.08.2021 Afghanistan 2021 - Im Fadenkreuz nachbarlicher Begehrlichkeiten 13.08.2021 Afghanistan - der endlose Konflikt 13.08.2021 Afghanistan – Rien ne va plus 04.08.2021 4. Afghanistan - Die Nato-Truppen (Arte Dokumentation) 03.08.2021 3. Afghanistan - Mudjahedin und Taliban (Arte Dokumentation) 02.08.2021 2. Afghanistan - Die Sowjetarmee (Arte Dokumentation) 01.08.2021 1. Afghanistan das Königreich (Arte Dokumentation) Das sowjetische Abenteuer in Afghanistan begann mit der Intervention im Jahr 1979 und endete im Trauma im Jahr 1989. Das Ziel der sowjetischen Invasion war einen sozialistischen Staat Afghanistan zu schaffen und die islamische Revolution nach dem Vorbild Iran zu bekämpfen. Russland wird in Afghanistan die Geister (Taliban und extremistische Gruppierungen) nicht mehr los, die sie bei der Invasion 1979 - 1989 gerufen haben. Das Gefühl des Triumpfes, dass die USA mit ihren Verbündeten, nach 20-jähriger Besetzung, das Land im Jahr 2021 als Verlierer verlassen wird nicht lange anhalten. Nie wieder sollen die Amerikaner einen Fuß in Moskaus „Vorhof“ Zentralasien setzen. Unter diesem Blickwinkel ist die westliche Niederlage in Afghanistan ein Erfolg für Russland. Aber was ist, wenn Terroristen einsickern? (Quelle: FAZ net) Russland und vor allem einige Nachbarländer (Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan) stehen nach Abzug der USA und ihrer Verbündeten vor der Gefahr vor Destabilisierung durch Flüchtlinge, Drogenschmuggel und islamischen Terror. Eine Ausbeutung von Rohstoffen sowie die Beherrschung von Handelsrouten und Öltrassen dürften nicht nur von den künftigen Machthabern in Afghanistan abhängig sein. Wobei zunächst erst einmal die Machtverhältnisse innerhalb Afghanistans geklärt werden müssen. Welche Gebietsanteile beherrschen überhaupt die Taliban. Welche weiteren Gruppierungen von hiesigen Warlords, Al Kaida bis IS und radikalen Taliban kämpfen um die künftige Vormacht. Außenpolitisch stehen China, Pakistan, Indien, Iran, Russland und eine Allianz aus Katar und der Türkei bereit um ihre Interessen in Afghanistan zu vertreten. Welche Rolle spielen künftig die USA bei der IS-Bekämpfung und Unterstützung verschiedener Gruppen durch Geld- und Waffenlieferungen. Afghanistan wird vor einem Bürgerkrieg oder zumindest Stellvertreterkrieg stehen, der das Land über viele Jahre in Chaos und Not stürzen wird. Autor: Blog Editor
Mehr als ein Jahrhundert ist das nun her, aber es fühlt sich nicht so an. Denn wir sind Zeuge einer Katastrophe, die ähnliche Züge aufweist, nur diesmal auf dem Trockenen. Die Zeit läuft ab in Afghanistan. Fassungslos blicken wir auf den Horror vor den Toren des Kabuler Flughafens und auf die Verzweiflung der Zurückbleibenden. Wir hören die Hilferufe und fühlen uns hilflos. Das Gefühl trügt nicht. Die Weichen sind gestellt. Die Grenzen der Logistik, die Zahl der verbleibenden Starts und Landungen auf dem Rollfeld, die Choreografie des Abzugs von knapp 6.000 amerikanischen Soldaten und eine unerbittliche "Deadline" lassen keine Chance mehr, um alle zu retten, die in Lebensgefahr schweben.
Deutsche Behörden wurden gestern von der Zahl deutscher Staatsbürger überrascht, die noch immer in Kabul feststecken. Den Amerikanern geht es nicht anders. Die nehmen ohnehin nur noch Menschen mit US-Pass oder Dauer-Aufenthaltsgenehmigung mit – wer als Ortskraft nur ein Visum hat, kommt nicht mehr durch die Tore. Bis vor Kurzem noch hatten bürokratische Hürden und weltfremde Definitionen der Regeln, die zum Antrag berechtigen, die Zahl der Ausreisenden künstlich klein gehalten. So haben es Amerikaner, Briten und auch wir Deutsche gemacht. Wir haben Menschen sehenden Auges in ein Todesrisiko geschickt. Paragraf soundso, da kann man leider nichts machen, wir bitten um Verständnis. Es war und ist eine Schande. Inzwischen allerdings spielt das keine Rolle mehr. Man kommt nicht mehr zum Flughafen von Kabul. Und dann nicht rein. Und erst recht nicht mehr weiter. Die Retter packen ein, denn ihre Zeit ist um. Frankreich will seine Evakuierungsmission heute beenden. Polen hat schon gestern Schluss gemacht. Deutschland versucht noch, etwas Zeit herauszuschlagen. Am Dienstag verlässt der letzte US-Soldat den Flughafen. Mit in den Maschinen: die internationale Presse. Und wenn sie nur könnten, wären auch viele afghanische Kollegen mit dabei. Unter unabhängigen Journalisten geht die Angst um, sie haben Drohungen erhalten und halten sich versteckt. Einige lokale Medien können noch arbeiten, doch abseits von Kabul werden sie dichtgemacht oder auf Linie gebracht. Es wird nicht lange dauern, bis die internationale Aufmerksamkeit sich vom Hindukusch abwendet. Erst dann haben die Taliban wirklich freie Hand, und das muss man fürchten. Es nützt den Eingeschlossenen wenig, dass die neuen Herren Afghanistans gestern dem deutschen Botschafter versichert haben, nach dem endgültigen Abzug der internationalen Koalition werde es zivile Flüge und die Möglichkeit zur Ausreise geben – jedenfalls, Achtung, wenn die Papiere stimmen. Denn wer untergetaucht ist, weil er bei einer Begegnung mit den Turbanträgern um sein Leben fürchten muss, schlendert nicht an deren Passkontrolle vorbei, nur weil sie dort eine gebügelte Uniform tragen. Ohnehin sind die Taliban auf das Thema Ausreise gar nicht gut zu sprechen. Sie fürchten die Abwanderung der Qualifizierten, der Fachkräfte und all derer, die das Land am Laufen halten können. Ihre Sorge ist berechtigt, denn das System, das sie übernehmen, ist schwer angeschlagen. Hunderte Menschen standen in Schlangen vor den Banken, die gestern zaghaft ihre Tore öffneten, und hofften darauf, endlich an Bargeld zu gelangen. Seit dem Fall Kabuls waren die Schalter zu und die Geldautomaten leer. Die Tresore der Zentralbank sind das übrigens auch. Deren inzwischen geflohener Ex-Chef wusste zu berichten, dass die Taliban vorbeigeschaut und die Angestellten gefragt hätten, wo denn das Geld sei. Die korrekte Antwort: nicht in Afghanistan. Die Guthaben befinden sich in den USA (inzwischen gesperrt) oder kamen vom Internationalen Währungsfonds (inzwischen auch gesperrt). Und die Weltbank, die für die Finanzierung von Entwicklungsprojekten zuständig ist, zog gestern ebenfalls den Stecker. Wer in der Geldnot der Eroberer eine Chance für die Zurückgelassenen oder die Menschenrechte sieht, sollte sich allerdings nicht zu früh freuen. Deutschland hat den Taliban humanitäre Hilfe in Aussicht gestellt, wenn sie sich benehmen und den Flughafen weiterhin offenhalten. Auf einen wirtschaftlichen und diplomatischen Deal hoffen auch andere: Geld und die formale Anerkennung des Regimes gegen Zugeständnisse bei der Ausreise gefährdeter Afghanen. Der Versuch ist ehrenwert, doch die Taliban sitzen am längeren Hebel. Kurzfristig herrscht zwar Ebbe im Staatssäckel. Aber statt des Westens könnten China und Russland dem afghanischen Staat zu Hilfe eilen, als alternative Geldgeber, die Menschenrechtsverletzungen ebenfalls nicht so eng sehen. Die "Gotteskrieger" selbst sind sowieso nicht in Not: Sie profitieren schon lange vom (bisher) illegalen Handel über die poröse Grenze zum Iran und zu Pakistan, harte Drogen inklusive. Sie wissen, dass Sanktionen vor allem die breite Bevölkerung treffen und eine humanitäre Katastrophe auslösen könnten, der dann vermutlich eine Flüchtlingswelle folgt. Anders gesagt: Die Drohkulisse des Westens bröckelt bereits, bevor sie richtig aufgebaut ist. Leider werden wir hier nicht nur Zeuge taktischer Winkelzüge. Die Tragödie um die afghanischen Ortskräfte und all die anderen, die es jetzt nicht mehr aus dem Land schaffen werden, ist noch nicht einmal vorbei, da bahnt sich schon die nächste Katastrophe an: Anhaltende Dürre in diesem Jahr hat Teile der Ernte vernichtet und macht mehr als 18 Millionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig. Und das Coronavirus in seiner aggressiven Delta-Variante hat um das Land auch keinen Bogen gemacht. Für uns im Westen heißt das: An weiterer Hilfe für Afghanistan führt kein Weg vorbei. Ganz egal, wer dort regiert und wie laut dabei die Zähne knirschen. Der Westen hat mit einer an Bösartigkeit grenzenden Inkompetenz die "Titanic" auf den Eisberg gesteuert und die Leute aus dem unteren Deck ihrem Schicksal überantwortet. Das ist unentschuldbar. Noch einmal geht das nicht. Quelle: T-Online / Autor: Florian Hams, 26.08.2021 um 7:57 Uhr Afghanistan: Eine Chronik des Versagens | PRO ASYL
Taliban, die sich im Präsidentenpalast breitmachen. Ein öffentliches Leben, aus dem Frauen von jetzt auf gleich fast komplett verschwunden sind. Die Ereignisse der letzten Tage am Kabuler Flughafen: Wenn man diese Bilder sieht - wie surreal mutet es da an, dass Deutschland noch vor einer Woche (!) nach Afghanistan abschieben wollte? Das Ausmaß der Realitätsverweigerung und des Versagens der Bundesregierung zeigt sich allein daran, dass Anfang August erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Abschiebung aus Österreich verhindern und anschließend die Zivilgesellschaft einen Abschiebestopp erkämpfen musste, damit nicht noch mehr Menschen in das lebensgefährliche Chaos in Afghanistan zurückgeschickt werden. Aber das ist nur der letzte Baustein in einer Reihe von Verfehlungen, die für viele Menschen nun letztlich tödlich enden könnten. Die Warnungen waren daBereits Ende April wandte PRO ASYL sich angesichts des angekündigten Abzugs der NATO-Truppen an verschiedene deutsche Ministerien, um Vorschläge zur zügigen Aufnahme von Ortskräften zu machen - unter anderem mit der Forderung nach einer sofortigen Ausreise mit Visaerteilung bei der Ankunft. Denn wir wissen aus den Erfahrungen beim langwierigen Familiennachzug, wie lange sich Visaverfahren in Auslandsvertretungen ziehen können. Zeit, die diese Menschen nicht haben, wie viele Afghanistan-Expert*innen schon vor dem Abzug vorhersagten. Als Ende Juni die letzten Bundeswehrsoldaten das Land verließen, wurden vorher über 20.000 Liter Bier, Wein und Sekt sowie ein 27 Tonnen schwerer Gedenkstein "in Sicherheit" gebracht. Nicht aber die Menschen, die jahrelang ihr Leben riskierten. Als Ende Juni die letzten Bundeswehrsoldaten das Land verließen, wurden vorher über 20.000 Liter Bier, Wein und Sekt sowie ein 27 Tonnen schwerer Gedenkstein "in Sicherheit" gebracht. Nicht aber die Menschen, die jahrelang ihr Leben riskierten und für das deutsche Militär oder andere Institutionen tätig waren. Auch zu diesem Zeitpunkt gab es von zivilgesellschaftlichen Organisationen und einzelnen Parteien schon Forderungen nach einer raschen Evakuierung und deutliche Warnungen vor dem Taliban-Vormarsch. "Jetzt sind Schnelligkeit und unbürokratische Verfahren gefragt - es kommt auf jeden einzelnen Tag an", warnte PRO ASYL am 24. Juni . Diese Warnung verhallte ungehört - wie auch alle folgenden. Die Chronik der SchandeDenn die politisch Verantwortlichen in der Bundesregierung waren damit beschäftigt, aus wahlkampftaktischen Gründen auf Teufel komm’ raus weiterhin Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen. Am 6. Juli wurden noch über 20 afghanische Geflüchtete vom Flughafen Hannover aus abgeschoben . Mitte Juli erschien ein "neuer" Lagebericht des Auswärtigen Amtes, der die Gebietsgewinne der Taliban nach dem Abzug der NATO-Truppen überhaupt nicht berücksichtigte, die katastrophale Sicherheitslage ignorierte, Gefahren für Rückkehrer*innen herunterspielte und damit den Boden für die weitere Möglichkeit von Abschiebungen bereiten sollte. Am 3. August schließlich sollte ein geplanter Abschiebeflug sogar noch vorverlegt werden, um buchstäblich in letzter Sekunde noch Menschen abzuschieben. Erst ein EGMR-Urteil zu einem Betroffenen aus Österreich stoppte den gemeinsamen Flug der beiden Länder . Am 9. August verfasste Bundesinnenminister Horst Seehofer gemeinsam mit seinen Kolleg*innen aus Belgien, Österreich, Griechenland, Dänemark und den Niederlanden einen Brief an die EU-Kommission . Tenor: Ein Abschiebestopp sei ein "falsches Signal", es müsse unbedingt dafür gesorgt werden, dass Abschiebungen weiter stattfinden können. Der ehemalige Bundeswehrstandort Kundus war da schon in der Hand der Taliban. Politiker*innen, die sich eben noch für Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen haben, vergießen nun Krokodilstränen. Erst zwei Tage später, nach einem breiten zivilgesellschaftlichen Appell , kam - ansatzweise - die Einsicht: Der Bundesinnenminister erklärte die "Aussetzung" von Abschiebemaßnahmen nach Afghanistan. Aber anstatt den Ernst der Lage zu begreifen, die geplanten Chartermaschinen zum Ausfliegen gefährdeter Personen zu nutzen und eine Luftbrücke einzurichten, die PRO ASYL schon am 9. August gefordert hatte , ließ die Bundesregierung auch diese wertvollen Tage verstreichen. Mit dem bekannten Resultat. Dass die politisch Verantwortlichen nun von der Entwicklung in Afghanistan überrascht sind, ist erstaunlich bis absurd. Wenn Menschenrechtsorganisationen wie PRO ASYL in der Lage sind, die Situation realistisch einzuschätzen, sollte dies den höchsten politischen Ebenen dieses Landes ebenfalls möglich sein. Ebenso befremdlich wirkt es, wenn Politiker*innen, die sich eben noch für Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen haben, nun Krokodilstränen vergießen. Keine Hilfe für die Ortskräfte und andereViele der ehemaligen Ortskräfte hatten sich indes auf die leeren Worte ("Wir werden denen helfen - und helfen ihnen schon - die uns geholfen haben" - Regierungssprecher Seibert im Juli ) verlassen. Sie wendeten sich an die spärlichen Anlaufstellen, gaben ihre Pässe ab, beantragten Visa. Und blieben in Afghanistan, denn die Anträge von Ortskräften konnten nur von dort gestellt werden und nicht aus dem Ausland. Die Menschen mussten also, anstatt sich schon einmal in Nachbarländern in Sicherheit zu bringen, dort ausharren und auf die Antwort der Deutschen warten. Viele haben schlichtweg nicht einmal eine Rückmeldung erhalten, angekündigte Büros für Ortskräfte wurden nie eröffnet. Bei den meisten geschah jedoch nichts - das zeigen die etlichen Zuschriften von verzweifelten Afghan*innen an die PRO ASYL-Einzelfallberatung in den letzten Wochen und Monaten. Viele haben schlichtweg nicht einmal eine Rückmeldung erhalten, angekündigte Büros für Ortskräfte wurden nie eröffnet. Noch nicht einmal eine Kontakt-E-Mail Adresse wurde veröffentlicht. Das Versprechen der offiziellen Stellen, Informationen zu liefern, die den hilfesuchenden Menschen zugänglich gemacht werden können, wurde ebensowenig eingehalten, wie die Hilfszusagen an die Ortskräfte generell. Quelle: PRO ASYL - News vom 17.08.2021. 10.09.2021 Gastkommentar: Der US-Krieg gegen den Terror ist allgegenwärtig 10.09.2021 9/11, der "Krieg gegen den Terror" und die Folgen Seit über 40 Jahren versuchen die verschiedensten Großmächte Afghanistan mit seinen Bodenschätzen und Handelswegen zu kontrollieren. Vom der Beherrschung des Terrorismus einmal ganz abgesehen. Alle streben und gieren nach Rohstoffen, Handelswegen und politischen Einfluss (Iran, China, Pakistan, Indien, Russland, Türkei, USA, Europa und Anrainer-Staaten...) Wer herrscht eigentlich künftig über Afghanistan?? Die Taliban, Al Kaida, IS oder vom Ausland gesteuerte Extremisten??? Afghanistan wird zum Stellvertreter Krieg dieser Welt. Gottlob ist die Bundesrepublik raus aus diesem "Sandkastenspiel". Autor: Blog Editor
Die Taliban, auch Taleban (paschtunisch د افغانستان د طالبان اسلامی تحریکِ DMG Da Afġānistān da Ṭālibān Islāmī Taḥrīk, deutsch ‚Die Islamische Talibanbewegung Afghanistans‘), sind eine im September 1994 gegründete deobandisch-islamistische Terrorgruppe, die von September 1996 bis Oktober 2001 erstmals große Teile Afghanistans beherrschte und seit August 2021 wieder die Macht im Land hält.[2] Der Name (paschtunisch طالبان DMG ṭālibān) ist die paschtunische Pluralform des aus dem Arabischen stammenden Wortes talib (طالب, DMG ṭālib ‚Schüler, Suchender‘).[3] Das Islamische Emirat Afghanistan der Taliban wurde seinerzeit von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt. Die Talibanbewegung hat ihre Ursprünge in religiösen Schulen für afghanische Flüchtlinge in Pakistan, die meist von der politischen pakistanischen Partei Jamiat Ulema-e-Islam geführt wurden.[4] Die Ideologie der Bewegung basiert auf einer extremen Form des Deobandismus und ist zudem stark vom paschtunischen Rechts- und Ehrenkodex, dem Paschtunwali, geprägt. Der Anführer der Taliban war bis 2013 Mullah Mohammed Omar. Omars Nachfolger Akhtar Mansur wurde 2016 bei einem Drohnenangriff getötet. Mansurs Nachfolger ist Hibatullah Achundsada.[5] Die Taliban traten erstmals 1994 in der südlichen Stadt Kandahar in Erscheinung. Sie belagerten und beschossen zwei Jahre lang die Hauptstadt Kabul, nahmen sie im September 1996 ein und errichteten das Islamische Emirat Afghanistan. Im Oktober 2001 wurde ihre Regierung von Truppen der afghanischen Vereinten Front in Zusammenarbeit mit amerikanischen und britischen Spezialeinheiten in einer US-geführten Intervention gestürzt. Ihre Anführer konnten sich durch einen Rückzug nach Pakistan halten. Von 2003 an führten die Taliban von Pakistan aus eine terroristisch-militärische Kampagne gegen die Islamische Republik Afghanistan und die internationalen Truppen der International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan. Hierbei verübten die Taliban offenbar mehr als doppelt so häufig gezielte Anschläge gegen die afghanische Zivilbevölkerung wie gegen die afghanischen oder internationalen Truppen. Ein Bericht der Vereinten Nationen zeigt, dass die Taliban in den Jahren 2009 und 2010 für über 75 % der zivilen Todesopfer in Afghanistan verantwortlich waren. Menschenrechtsorganisationen haben den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag dazu veranlasst, eine vorläufige Untersuchung gegen die Taliban wegen systematischer Kriegsverbrechen durchzuführen. Inhaltsverzeichnis
01.09.2021 "So dumm können die Taliban gar nicht sein" Eisen, Kupfer, Lithium, Gold: Afghanistan ist reich an Bodenschätzen. Ihr Wert wird auf mehrere Billionen Dollar geschätzt. Nach der Machtübernahme der Taliban hoffen nun China und andere Länder auf Zugang zu den Rohstoffen. Sendung verpasst? David Petraeus, ehemaliger Oberbefehlshaber der US-Truppen in Afghanistan, schwärmte bereits vor elf Jahren von den "atemberaubenden" Rohstoffvorkommen des kargen Landes. Die Vorräte an Kupfer, Lithium, Eisen, Gold und Kobalt reichten aus, um das von Kriegen und Bürgerkrieg gebeutelte Land zu einem führenden Rohstofflieferanten zu machen. Großteil des Landes noch nicht untersucht Die Hoffnungen des Generals und die der Eliten des Landes erfüllten sich nicht, verhinderten doch die anhaltenden Kämpfe mit den Taliban und die politische Instabilität des Landes eine wirtschaftlich rentable und sinnvolle Ausbeutung der Bodenschätze. Entdeckt hatten sie einst die russischen Besatzer, die ihre Erkenntnisse später mit den Amerikanern teilten. Der US-Geologiebehörde USGS zufolge sind allerdings noch 70 Prozent der Fläche Afghanistans unerforscht. Nach dem Rückzug der USA und ihrer westlichen Verbündeten sehen nun die Regierungen anderer Staaten ihre Chance gekommen, nach den begehrten Rohstoffen des Landes zu greifen. Besonders China bringt sich in Stellung und bietet sich den neuen Machthabern in Kabul als Helfer in der Krise an. Auch im Iran, in Indien und der Türkei wecken die afghanischen Bodenschätze Begehrlichkeiten. So viel Lithium wie in Bolivien Die US-Geologen schätzen, dass Afghanistan über Rohstoffe im Wert von drei Billionen Dollar verfügt. US-Medien zufolge schlummern in den Böden des Landes so große Lithium-Reserven wie in Bolivien, dem weltgrößten Lieferanten dieses Rohstoffs. Es habe damit das Potenzial, zum "Saudi-Arabien für Lithium" zu werden, zitierte bereits vor zehn Jahren die "New York Times" aus einem internen Bericht des US-Verteidigungsministeriums. Lithium wird für wieder aufladbare Batterien gebraucht, wie sie in Handys, Laptops oder Elektroautos verwendet werden. Auch die Eisen- und Kupferadern sind offenbar riesig. Danach schlummern zwei Milliarden Tonnen Kupfererz, aber auch Gold und Kohle sowie reiche Vorkommen Seltener Erden in den Böden des Landes. Zudem werden 1,6 Milliarden Barrel Rohöl im Untergrund vermutet. Genug, um die Funde zum Rückgrat der afghanischen Wirtschaft zu machen und das Land zu einem führenden Rohstoffexporteur aufsteigen zu lassen, so US-Experten. Fehlende Infrastruktur In ihrem letzten Bericht zu Afghanistan äußert sich die amerikanische Geologiebehörde aber skeptisch, dass dies auch gelingen kann, weil das Land - unabhängig von der labilen Sicherheitslage - nicht über die nötige Infrastruktur verfüge. So gebe es weder eine funktionstüchtige Bergbauindustrie noch die für Exporte nötigen Straßen oder Schienenwege. Es wäre äußerst kostenintensiv, die Rohstoffe zu heben und dann außer Landes zu schaffen, so die USGS. Wie schwer es ist, in dem Land zu arbeiten, mussten zuletzt auch die Chinesen feststellen. Seit Juli 2015 ist das staatseigene Bergbauunternehmen Metallurgical Corp. of China (MCC) in Gesprächen mit der Regierung in Kabul, um sich die Rechte an der 35 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegenen Kupfermine Aynak zu sichern. Zwar hat es erste Verträge gegeben, doch wurden sie 2016 von der Regierung gekündigt. Seitdem liege das Projekt auf Eis, so die USGS. Gefördert wurde noch nichts. Dabei handelt es sich offenbar um gigantische Vorkommen. 700 Millionen Tonnen Erze sollen in Aynak liegen, vor allem Malachit, mit einem Kupfergehalt, der die der chilenischen Minen übersteigt. Sollte es den Chinesen nun gelingen, nun mit den Taliban ins Gespräch zu kommen und doch noch eine Vereinbarung zu erzielen, wäre dies für die Regierung in Peking ein großer Erfolg. Für die Chinesen bietet der Rückzug der Amerikaner nach Ansicht von Experten noch eine weitere Chance: Sie können nun einen erneuten Versuch starten, Afghanistan an die Neue Seidenstraße anzuschließen. Neue Bahnlinie geplant An einer leistungsfähigen und stabilen Verbindung zu Afghanistan haben auch die Nachbarländer Usbekistan und Pakistan Interesse. Der englischsprachigen Zeitung "Japan Times" zufolge gibt es Überlegungen zum Bau einer durchgehenden Eisenbahnverbindung von Termez an der afghanisch-usbekischen Grenze in die pakistanische Stadt Peshawar - über Masar-i-Sharif und Kabul in Afghanistan. Die Bahn könnte bis zu 20 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr transportieren. Der von Usbekistan gebaute Abschnitt von Termez nach Masar-i-Sharif ist bereits in Betrieb. Problematisch sind allerdings die verbleibenden 573 Kilometer nach Peshawar. Denn sie müssen das Hindukusch-Gebirge überqueren, dessen Pässe mehr als 3500 Meter über dem Meer liegen und nur mittels eines Tunnels überwunden werden könnten. Die Realisierung eines solchen Projekts würde viele Milliarden Dollar verschlingen und viele Jahre dauern. Auch die Russen würden in Afghanistan gerne Geschäfte machen. So versucht der staatliche Gaskonzern Gazprom schon seit Jahren, die Gasfelder an der afghanisch-turkmenischen Grenze zu erschließen. Ferner sind seit Jahren drei russische Wasserkraftwerke geplant, die nach dem Rückzug der Amerikaner nun realisiert werden könnten, falls die neuen Machthaber mit den ehemaligen Besatzern zu Gesprächen bereit sind Autor: Von Lothar Gries, tagesschau.de Russland, China, Türkei: Wer gewinnt in Afghanistan? Artikel aus der Berliner Zeitung / Autor: Michael Maier 16.8.2021 Afghanistan ist strategisch von entscheidender Bedeutung im Kampf der Weltmächte um die Vorherrschaft im euroasiatischen Raum. Es geht um viel. Der Abgang des afghanischen Präsidenten nach der Machtübernahme der Taliban erfolgte am Sonntag überhastet: Nach Angaben der russischen Botschaft in Kabul soll er mit vier Wagen und einem Hubschrauber voller Geld ins Ausland geflüchtet sein, so die russische Nachrichtenagentur RIA. Ghani hatte offenbar nicht genug Zeit, um alles mitzunehmen, so Botschaftssprecher Nikita Ischtschenko: „Vier Autos waren voll mit Geld. Sie versuchten, einen weiteren Teil des Geldes in einen Hubschrauber zu stopfen, aber es passte nicht alles hinein. Und ein Teil des Geldes blieb auf der Rollbahn liegen.“ In welches Land sich Ghani abgesetzt hat, ist nicht bekann Das unrühmliche Ende einer ruhmlosen Ära der Regierung im Dienste ausländischer Geldgeber bedeutet einen Neustart für Afghanistan. Das Land ist von strategisch entscheidender Bedeutung im Kampf der Weltmächte um die Vorherrschaft im euroasiatischen Raum. Es geht um viel – und Afghanistan hat viel zu bieten: Die USA und der Westen, China, Russland und die Türkei haben Interessen. Sie alle buhlen nach dem Ende der westlichen Besatzung um gute Beziehungen – gleichgültig, ob die islamistischen Taliban zur jeweiligen ideologischen Ausrichtung passen oder nicht. Eine der Spielregeln gilt im Poker um die Zukunft Afghanistans für alle: „Die Taliban kontrollieren nun die höchst lukrativen Schmuggler-Netzwerke. Diese bringen riesige Profite, vor allem mit dem Drogenhandel. Die Schmuggler-Routen entscheiden darüber, wer in Afghanistan herrscht“, sagt Suzanne Levi-Sanchez vom U.S. Naval War College in Rhode Island. Die Afghanistan-Expertin und Autorin mehrerer Bücher über die Region sagt, dass die Taliban seit einigen Jahren insbesondere die Abhängigkeit von Heroin strategisch einsetzen, um Unterstützer und Mitarbeiter entlang der Schmuggler-Routen an sich zu binden: „Das afghanische Heroin, das wegen seiner hohen Konzentration schnell zu Abhängigkeit führt, ersetzt das Opium. Sie geben es den Leuten und haben sich so eine Basis in der Bevölkerung aufgebaut.“ Der Westen hat nie verstanden, wie Afghanistan funktioniertMit den Einnahmen aus dem Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sind die Taliban auch wirtschaftlich in der Lage, gegenüber den Großmächten selbstbewusst aufzutreten. Man dürfe sie auch keinesfalls intellektuell unterschätzen, sagte Levi-Sanchez: „In den Verhandlungen mit US-Außenminister Mike Pompeo sind die Taliban immer als Sieger vom Platz gegangen. Sie wussten genau, wie sie die für sie besten Lösung durchsetzen konnten.“ Genützt hat den Taliban auch die Tatsache, dass der Westen nie wirklich verstanden hat, wie Afghanistan politisch funktioniert. Levi-Sanchez: „Die Taliban haben über Jahre mit verschiedenen Distrikten und Provinzen verhandelt. Sie waren in der Lage, ganz schnell nach dem Abzug der westlichen Allianz Positionen zu besetzen.“ So habe es immer ein Schattenkabinett gegeben. Das ist von den politischen Strategen in Washington, London, Brüssel und Paris nicht gesehen worden, weil man im Westen von der Idee des Aufbaus eines Zentralstaates beseelt war. Dieser ist nun in den Händen der Taliban, gegen die der Westen zwanzig Jahre lang erbittert gekämpft hat. Allerdings kann man auch nicht sagen, dass die Taliban die gesamte Bevölkerung des Landes repräsentieren. Vor allem aber ist die Gruppe selbst heterogen: Die Taliban haben immer dezentral operiert – zu Zeiten der sowjetischen Besatzung ebenso wie während des „Kriegs gegen den Terror“. Daher gibt es keinen Anführer, hinter dem sich die Einheiten scharen. Levi-Sanchez: „Es ist nicht klar, ob es den Taliban gelingt, die Kontrolle über alle Einheiten so zu behalten, dass Vereinbarungen auch eingehalten werden.“ Tausende internationale Söldner und Milizionäre sind in AfghanistanDas zweite große Problem: Mittlerweile halten sich Tausende internationale Söldner und Milizionäre in Afghanistan auf. Sie sind teilweise mit dem Islamischen Staat assoziiert, einige Gruppen gehören zu Al Kaida. Im Kampf gegen den Westen haben diese Kämpfer an der Seite der Taliban gekämpft, sie werden nun, so glaubt Levi-Sanchez, ihren Anteil am Erfolg einfordern. Ob sie allerdings danach das Land verlassen oder aber von Afghanistan aus in andere Länder der Region ausschwärmen, ist unklar. Niemand kann wirklich sagen, wer hinter den Söldnern steht. Pakistan, Saudi-Arabien, der Irak und die Türkei wurden immer wieder genannt. In jedem Fall fürchten China und Russland, dass die Söldner sich nach dem Fall Afghanistans neuen Zielen zuwenden könnten: „Moskau und Peking haben diese Bedrohung in den vergangenen Jahren immer übertrieben. Doch mit dem Abzug der Amerikaner sind viel mehr Söldner nach Afghanistan gekommen, sodass die Angst vor Übergriffen durchaus begründet scheint“, sagte Suzanne Levi-Sanchez. Für Russland hat die Strategie eher eine defensive Komponente: Moskau will Stabilität in der Region. Das Land ist als Rohstofflieferant nach Europa und nach Asien vor allem daran interessiert, dass die Infrastruktur intakt bleibt. Auch China hat ein Interesse an funktionierenden Bahnlinien, Straßen und Pipelines: Das Land will mit der „Neuen Seidenstraße“ einen Handelsweg von historischem Ausmaß eröffnen. China hat mit dem Wakhan-Korridor einen strategisch wichtigen geografischen Anknüpfungspunkt an der Grenze zu Afghanistan. Daher hat die Führung in Peking bereits vor einigen Wochen erstmals eine Delegation der Taliban empfangen, um über die Zusammenarbeit zu reden. Das Treffen hat viele Beobachter überrascht: Die kommunistische Partei Chinas kämpft mit großer Härte gegen die Uiguren und will muslimische oder gar islamistische Gruppen nicht dulden. Ähnlich verhält es sich mit Russland: Die Taliban werden von Moskau als „Terror-Organisation“ geführt und sind verboten. Doch am Montag gab das Außenministerium bekannt, man werde Kontakte auf „Arbeitsebene“ installieren, um mit den Taliban über die Zukunft reden zu können. Auch die Türkei ist fieberhaft bemüht, das Scheitern der Nato-Mission in einen Erfolg für ihre Interessen in der Region zu münzen: Wie die von britischen Sicherheitsexperten betriebene Website Middle East Eye berichtet, wollen türkische Unterhändler mit der neuen Regierung möglichst schnell ins Gespräch kommen. Die Türkei war bereits in Verhandlungen mit den Taliban: So sollten türkische Einheiten nach dem Abzug der Nato den Flughafen von Kabul kontrollieren. Die überraschende Machtübernahme der Taliban hat den ursprünglichen Fahrplan zwar durchkreuzt. Doch verweisen türkische Offizielle nun auf die hundert Jahre alten türkisch-afghanischen Beziehungen und heben die Tatsache hervor, dass die türkischen Nato-Truppen in Afghanistan nie gegen die Taliban gekämpft hätten und daher die Gesprächsbasis auch nach dem Ende der Mission intakt sein sollte. Interessanterweise zeigt man in Ankara nach dem gemeinsamen Nato-Scheitern mit dem Finger auf London: Die regierungsnahe Zeitung Sabah schreibt in einem Kommentar, dass Afghanistan eigentlich ein artifizielles Produkt Großbritanniens sei - mit künstlich gezogenen Grenzen. Der Kommentator scheibt, dass Invasionen immer schlecht seien. Den Preis würde immer die lokale Bevölkerung zahlen - was sicher zutreffend ist. Der Autor vergisst jedoch die jüngste Invasion der Türkei in Syrien zu erwähnen, wo auch die Grenzen neu festgelegt werden sollen. Der Kommentator schreibt, dass in Afghanistan verschiedene ethnische Gruppen leben, unter anderem Turkmenen. Der Schutz der Turkmenen in Syrien war einer der Gründe für den Einmarsch der türkischen Armee. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan versteht sich als Schutzmacht für muslimische Gruppen in aller Welt. Zuletzt hatte die Türkei mit ihrer vor allem im Drohnen-Bereich exzellent ausgerüsteten Streitmacht den Armenieren in Berg Karabach eine schwere Niederlage zugefügt. Auch für die Uiguren setzt sich Erdogan ein. Allerdings dürfte ihm hier China seine Grenzen aufzeigen. Siegeswillen aus Jahrzehnten des Kampfes gegen GroßmächteDie entscheidende Frage dürfte nun sein, ob die sogenannte Troika aus den USA, Russland und China ihre Verhandlungen mit Kräften in Afghanistan fortsetzen kann: Diese Gespräche laufen seit einiger Zeit, wenngleich bisher ohne zählbares Ergebnis. Wie sich andere Nationen wie die Vereinigten Arabischen Emirate, die die Taliban bisher unterstützt hatten, noch in die Neuordnung einbringen werden, ist unklar; ebenso wie die Rollen von Pakistan oder Indien, die ebenfalls geostrategische Interessen in der Region verfolgen.
Mit den Erlösen aus dem Drogenhandel, den erbeuteten westlichen High-Tech-Waffen und dem Siegeswillen aus Jahrzehnten des Kampfes gegen Großmächte ist die Verhandlungsbasis der Taliban jedenfalls besser denn je. Die korrupte Elite des Landes hat alle Institutionen diskreditiert. Der entscheidende Fehler der westlichen Allianz: Sie wollte die Institutionen über die Zentralregierung in Kabul aufbauen. In den Provinzen waren die lokalen Regierungen sowie die lokalen informellen Führer aber schwach. Politologin Suzanne Levi-Sanchez: „An diesen Orten hatten die Taliban-Schattenregierungen Netzwerke aufgebaut und hatten Legitimität bei ihren Anhängern, wenngleich nicht bei den Einheimischen, die sich den Taliban widersetzten.“ Die Präsenz an der Basis verschaffte den Taliban jedoch einen Vorteil: Sie konnte Vereinbarungen zwischen den Provinzregierungen aushandeln, um sehr schnell die Kontrolle im Land zu übernehmen. So wird Afghanistan nach dem Abzug der Westmächte zu einem Scharia-Staat, in dem zumindest klar ist, wer künftig das Sagen hat. Das deutsche Personal kann vermutlich aus Kabul gerettet werden, für Tausende afghanische Helfer gilt das womöglich nicht. Eine Notlage, die die Regierung in Berlin selbst heraufbeschworen hat. Der Preis dafür ist politische Demütigung, die Außenminister Maas den Job kosten könnte. Vor zehn Tagen hieß es, die Taliban kämen erst in Monaten bis vor die Tore von Kabul - wenn überhaupt. Vor ein paar Tagen hieß es, es werde noch Wochen dauern. Doch in den letzten 48 Stunden ist klar geworden: Die Taliban sind schon da. Die afghanische Armee existiert nicht mehr, weil ihre Soldaten davon gelaufen sind, und der Staatspräsident scheint es ihnen gleichzutun. In Kabul spielen sich Szenen wie auf der untergehenden Titanic ab. Der überhastete Abzug der Amerikaner hat das Desaster vor Monaten ins Rollen gebracht, so viel scheint klar. Was der damalige USPräsident Donald Trump mit den Taliban ausgehandelt hat, ist längst nichts mehr wert, war es vermutlich zu keinem Zeitpunkt. Aber das entschuldigt die vollendete Rat- und Tatenlosigkeit der Bundesregierung keineswegs. Das Hin und Her zwischen mehreren Ministerien hat kostbare Zeit gekostet, viel zu spät kam ein Krisenstab zustande, viel zu spät griff auch die Kanzlerin ein. Wozu aber gibt es die ganze diplomatische und geheimdienstliche Expertise, wenn nicht, um früh vor solchen Katastrophen wenigstens zu warnen? Oder gibt es diese Expertise in der Bundesregierung in Wahrheit gar nicht? Tragödie und Schande Selbst wenn das deutsche Botschaftspersonal noch gerettet werden kann - Tausende von afghanischen Helfern und deren Familien werden schändlich im Stich gelassen und sehen einem Schicksal entgegen, das womöglich tödlich endet. Es ist eine Mischung aus wichtigtuerischer Bürokratie und strategischer Blindheit, mit der die Bundesregierung ihre Notlage heraufbeschworen hat. Und zwar mit Ansage, denn öffentliche Warnungen gab es genug, bis hinein in Bundestagsdebatten. Dass die afghanische Führung auch nach 20 Jahren westlicher Hilfe das eigene Land weder befrieden noch es gegen die radikalislamistischen Steinzeit-Milizen verteidigen kann - das muss sie sich überwiegend selbst zuschreiben. Dafür trägt die westliche Allianz nur einen geringen Teil der Verantwortung. Ewig konnte keines dieser Länder seine Soldaten in Afghanistan stationiert lassen, auch Deutschland nicht. Der Preis dafür ist die politische Demütigung, dass fast auf den Tag genau 20 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Taliban wieder an der Macht sind: entschlossener und besser ausgerüstet denn je. Aber das Berliner Versagen dieser letzten Tage von Afghanistan wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben von Menschen kosten, die deutschen Soldaten, deutschen Entwicklungshelfern, deutschen Botschaftsmitarbeitern im Laufe der Zeit mehr als einmal das Leben gerettet haben. Es ist eine Tragödie und eine Schande. Außenpolitik ist selten ein Grund für einen Minister-Rücktritt, aber das deutsche Versagen beim Abzug aus Afghanistan könnte einer werden. Quelle: ntv.de
Kommentar von Nikolaus Blome |
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