Auf Krieg und Pandemie folgt in Syrien die grosse Dürre Asad-Regime (braun) - Kurdische Gruppen (ocker) Türkische Einflusszone (violett) Auf Krieg und Pandemie folgt in Syrien die grosse Dürre Die Mehrheit der Syrer hat schon länger nicht mehr genügend zu essen. Nun sorgt eine Dürre im Osten des Landes für massive Ernteausfälle. Die Kurden machen dafür nicht nur den Klimawandel, sondern auch die Türkei verantwortlich.
Autor Christian Weisflog, Beirut 01.09.2021, 14.46 Uhr Neue Züricher Zeitung Die Bauern im Nordosten Syriens kämpfen bereits seit Monaten mit einer Dürre. Selbst im Winter hat es wenig geregnet, und im Frühling haben hohe Temperaturen die Böden zusätzlich ausgetrocknet. Im Mai veröffentlichte die Nachrichtenplattform «Syria Direct» zwei Bilder desselben Ackers in der Provinz Rakka. In dem Bild aus dem Jahr 2019 steht der Bauer Karim Kraf Abu Muhammad in einem saftigen, hüfthohen Weizenfeld. In diesem Jahr gleicht die Das Niveau des Euphrats ist im Nordosten Syriens gefährlich zurückgegangen. Auch der AsadStausee am Tabka-Damm ist teilweise ausgetrocknet. Delil Souleiman / AFP Anbaufläche dagegen einer braungelben Wüste, die spärlich mit verdorrten Grasbüscheln bewachsen ist. Seine Ernte, so schätzte Muhammad, werde nur noch ein Drittel des Vorjahres betragen. Das syrische Landwirtschaftsministerium spricht von der schlimmsten Dürre seit siebzig Jahren. Anzeige Der Nordosten des Landes ist eigentlich Syriens Kornkammer. Über 70 Prozent der jährlichen Weizen- und Gerstenproduktion stammen von dort. Weil aber die Mehrheit der Anbauflächen auf Regen angewiesen sind und über keine Bewässerungssysteme verfügen, ist der Ernteausfall besonders hoch. Selbst Bauern, die über die notwendige Technik verfügen, können ihre Felder in diesem Jahr nicht ausreichend bewässern. Denn der Euphrat, der sich wie eine Lebensader von der türkischen Grenze im Norden bis zur irakischen Grenze im Osten durch Syrien zieht, führt sehr wenig Wasser in diesem Jahr. elbst Olivenbäume, die an lange und heisse Sommer gewöhnt sind, drohen zu vertrocknen. Früher lag der Olivenhain von Khaled al-Khamis praktisch am Ufer des Euphrats. Jetzt ist die Lebensader weit weg. «Es ist, als wenn wir in der Wüste wären», sagte Khamis kürzlich gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Quelle: Jane’s Conflict Monitor NZZ / uvs «Wir denken darüber nach, wegzugehen. Es gibt kein Wasser mehr zum Trinken oder um die Bäume zu bewässern.» Angesichts der schweren Dürre warnten internationale Hilfswerke vergangene Woche davor, dass 5 Millionen Syrer und 7 Millionen Iraker den Zugang zu Wasser, Lebensmitteln und Strom verlieren könnten. Zwei Wasserkraftwerke am Euphrat, die rund 3 Millionen Menschen in Nordostsyrien mit Strom versorgten, stünden kurz vor der Schliessung. Weil die Menschen vermehrt verunreinigtes Wasser trinken müssten, nähmen Erkrankungen wie Durchfall zu. Gemäss der kurdischen Autonomieverwaltung, die grosse Teile des Nordostens kontrolliert, sind rund 70 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft abhängig. Für die Not ihrer Bauern macht sie nicht nur den Klimawandel, sondern auch Ankara verantwortlich. «Die Türkei benutzt das Wasser als Druckmittel», sagte eine leitende Mitarbeiterin des kurdischen Umweltkomitees im März. Der Euphrat entspringt in der Türkei und bezieht 90 Prozent seines Wassers von dort. Die Türkei hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von Dämmen Ist das Wasser eine türkische Waffe? entlang des Euphrats gebaut. In einem Abkommen mit Damaskus verpflichtete sich Ankara 1987, eine durchschnittliche Abflussmenge an der syrischen Grenze von 500 Kubikmetern pro Sekunde zu gewährleisten. In den vergangenen Monaten fiel dieser Wert allerdings auf 200 Kubikmeter pro Sekunde. Dadurch sank die Stromproduktion in Nordostsyrien im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent. Der Türkei ist die von den USA unterstützte kurdische Autonomieverwaltung in Syrien ein Dorn im Auge. Ankara befürchtet die Entstehung eines kurdischen Staatswesens, das auch die Träume der türkischen Kurden von Autonomie oder gar Unabhängigkeit beflügeln könnte. Zudem ist sie besorgt, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Nordostsyrien als Basis für Operationen in der Türkei nutzt. Schon drei Mal ging die türkische Armee seit 2016 gegen die kurdischen Milizen in Nordsyrien vor, letztmals im Oktober 2019, als sie zusammen mit verbündeten syrischen Rebellen östlich des Euphrats einen über hundert Kilometer langen und dreissig Kilometer tiefen Grenzstreifen eroberte. Anzeige Dabei brachte die Türkei auch das Aluk-Wasserwerk bei Ras al-Ain unter ihre Kontrolle, das in und um die Provinzhauptstadt Hasaka über eine Million Menschen mit Wasser versorgt. Seither ist es immer wieder zu Unterbrechungen der Wasserversorgung gekommen. Ob Ankara das Wasser des Euphrats bewusst als Waffe gegen die Kurden nutzt, ist umstritten. Auch die Türkei leidet dieses Jahr unter einer Trockenheit, ähnlich wie Syrien, der Irak und Iran. So habe das Einzugsgebiet des Vansees in Ostanatolien im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt heuer 33 Prozent weniger Niederschläge erhalten, sagte der türkische Agronom Murat Tunctürk gegenüber der Zeitung «Hürriyet Daily News». Allerdings könnte Ankara dazu geneigt sein, in Trockenperioden zunächst die eigene Not zu lindern. Dass dies die syrischen Kurden und das Regime in Damaskus vor grosse Probleme stellt, wäre ein willkommener Nebeneffekt. «In Die Bauern am Asad-Stausee nutzen Wasserpumpen, um ihre Felder zu bewässern. Die meisten Landwirte im Nordosten Syriens sind aber auf natürliche Niederschläge angewiesen. Delil Souleiman / AFP Dürrezeiten hilft sich die Türkei selbst und überlässt den Rest den Kurden, im vollen Wissen um die Konsequenzen», sagte der Syrien-Experte Fabrice Balanche gegenüber der AFP. Die Konsequenzen der Dürre treffen in Syrien nicht nur die von den Kurden verwalteten Gebiete östlich des Euphrats, sondern auch die vom Asad-Regime kontrollierten Regionen westlich des Flusses. Weil das Regime nach über zehn Jahren Krieg kaum Mittel für den Import von Getreide hat, rief es die Bauern zu Jahresbeginn dazu auf, vor allem Weizen anzupflanzen. Durch die Missernte wird das Regime jedoch rund 1,5 Millionen Tonnen Weizen einführen müssen, um eine Brotkrise wie im vergangenen Winter zu verhindern. Damaskus wird dabei erneut auf russische Hilfe zählen müssen. Denn wegen der schlechten Erträge dürften die Kurden keine Getreidelieferungen an das Regime zulassen. Für die hungernde Bevölkerung könnte es noch schlimmer kommen. Bereits von Oktober bis April verdoppelten sich die Preise für staatlich subventioniertes Brot. Die Menschen mussten in langen Schlangen vor den Bäckereien ausharren. Gleichzeitig erhöhten sich die Preise für Mehl um das Fünffache. Gemäss dem Welternährungsprogramm leiden 12,4 der 17,5 Millionen Einwohner in Syrien Syrien droht noch mehr Hunger unter mangelnder und unsicherer Versorgung mit Lebensmitteln. Das entspricht einer Zunahme von 4,5 Millionen innerhalb des vergangenen Jahres. Eine lange Dürreperiode gilt als einer der Gründe für den Ausbruch der Revolution und des Bürgerkrieges 2011. Nun trifft das Land die nächste Trockenperiode unter wesentlich drastischeren Voraussetzungen. Bildquelle: Kartengrundlage: © Openstreetmap, © Maptiler Stand: April 2021 Quelle: Jane’s Conflict Monitor Autor Christian Weisflog, Beirut 01.09.2021, 14.46 Uhr Neue Züricher Zeitung
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