Darf man reiche Russen pauschal als Kriminelle ansehen und ihr Vermögen einziehen? Nein, man darf nicht, sofern einem etwas an rechtsstaatlichen Prinzipien liegt. Die Forderung ist fast so alt wie der Ukrainekrieg selber. Man müsse die blockierten Vermögen von reichen Russen einziehen und für die Ukraine verwenden, heisst es mit immer grösserer Intensität. Das sei ein Gebot der Gerechtigkeit, denn die von den russischen Angreifern verursachten Schäden und die Kosten für den Wiederaufbau seien immens. Die Diskussion wird inzwischen auch in der Schweiz geführt. Aussenminister Cassis hat jüngst am Weltwirtschaftsforum angetönt, dass er diesen Weg nicht für ausgeschlossen halte, doch müsse das rechtsstaatlich korrekt gemacht werden. Moralisch verständlich, rechtlich unerträglichRechtsstaatlich korrekt? Zweifel sind angebracht. Zwar gibt es auch hierzulande vereinzelt Stimmen wie den Strafrechtler Mark Pieth, die meinen, die Vermögenseinziehung sei juristisch machbar, ja man müsse dazu nicht einmal ein neues Gesetz erlassen. Die Schweiz könne die Russen, die auf den Sanktionslisten aufgeführt seien, kurzerhand als Mitglieder einer kriminellen Organisation klassieren, als eine Art Mafiosi, und ihnen ihr Vermögen entziehen – ohne im Einzelfall ein Strafverfahren zu führen, ohne den Beweis zu erbringen, dass sich die betreffenden Personen kriminell verhalten hätten oder ihr Geld aus verbrecherischem Tun stamme.
Das ist eine Argumentation, die man als abenteuerlich bezeichnen muss, es ist eine Umdeutung des Strafgesetzbuches nach dem Motto «Der Zweck heiligt die Mittel». Das Argument, dass die von der Konfiskation betroffenen Russen ja den Gegenbeweis antreten und nachweisen könnten, Putin nicht nahezustehen, macht das Ganze nicht wirklich besser. Wie beweist man etwas, was nicht ist? Moralisch mag man solche Ideen angesichts des grossen Leids der ukrainischen Bevölkerung verstehen. Politisch ebenfalls, denn der Bundesrat fürchtet den internationalen Druck und will nicht als Feigling, oder noch schlimmer: als Russland-Freund, gelten. Doch rechtlich, das kann man drehen und wenden, wie man will, wäre es schwer erträglich, wenn die Schweiz dazu übergehen würde, Russen ohne bewiesene strafrechtliche Vorwürfe zu enteignen. Der Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz spricht treffend von «Schauprozessen auf Verdacht». Es geht dabei nicht um irgendwelche gesetzliche Petitessen, sondern um den Schutz vor staatlicher Willkür und um den Kern der verfassungsmässigen Eigentumsgarantie, die im Übrigen auch durch internationale Menschenrechtsabkommen garantiert ist. Wie will man begründen, dass diese fundamentalen Rechte für eine gewisse Personengruppe plötzlich nicht mehr gelten? Sanktionslisten genügen nichtDie Sanktionslisten, die von der EU erstellt werden und welche die Schweiz jeweils rasch und ohne eigentliche inhaltliche Überprüfung übernimmt, können als Begründung für die Konfiskation nicht genügen. Sanktionslisten sind ein politisches Instrument und fussen nicht auf nachweisbaren Taten, auf rechtskräftigen Beweisen. Es ist nicht immer gänzlich transparent, warum jemand als «Oligarch» gilt und auf die Liste gesetzt wird. Und wer sich auf gerichtlichem Weg gegen die Listung zur Wehr setzen will, braucht einen langen Atem. In diesem Zusammenhang darf man daran erinnern, dass die Schweiz auf der internationalen Ebene seit langem und mit gutem Grund mehr Rechtsschutz anmahnt für die Personen, die auf den «schwarzen Listen» des Uno-Sicherheitsrates landen und teilweise jahrelang dort verharren. Beim Umgang mit vermögenden Russen kann es nicht um die Frage gehen, wie man zum Krieg steht, sondern wie man zum Rechtsstaat steht. Darf ein politisches Ziel, und sei es auch noch so nobel, das Recht beugen? In der Ukraine, so wird unablässig betont, werde ein Kampf für die westlichen Werte geführt. Der Rechtsstaat, der vor politischer Willkür schützt, ist einer der wichtigsten Werte. Quelle: NZZ
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